Endlich öffnet sich die Schublade einmal wieder, das Flurlicht blendet mich sofort, es riecht da draußen nach Guanchiale und Pecorino. Auch gut. Und nun? Ehe ich mich versehe, lande ich in einer Jackentasche. Wieder dunkel. Es fährt wohl heute der Mann, denn nichts ist los in dieser Tasche. Bei der Frau sähe das ganz anders aus. Aber bei dem? Nichts, allein in der Dunkelheit. Hoffentlich verliert er mich aus seiner schlabberigen Tasche. Aber da packt er mich und drückt so fest auf die Taste fürs Türöffnen, das mir die Luft wegbleibt. Zum Ausgleich findet er das Zündschloss nicht, stochert herum und stößt mich mehrfach gegen die Lenksäule. Vielleicht mal eine Brille aufsetzen? Kurz werde ich gedreht und muss nun stillhalten. Hoffentlich geht es nicht an die Ostsee, denn auf langer Fahrt schläft mir immer der Bart ein.
„Lieber Gott und Herr, setze dem Überfluss Grenzen und lass die Grenzen überflüssig werden; nimm den Ehefrauen das letzte Wort und erinnere die Ehemänner an ihr erstes; gib den Regierenden en besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung; schenke unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde; bessere solche Beamte, Geschäfts- und Arbeitsleute die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind; lass die, die recht schaffend sind, auch Recht schaffen. Herr sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen, es muss ja nicht sofort sein. Amen.“
* Gebet aus dem Jahre 1883 (Die Zeiten ändern sich?)
Der Weg schlängelt sich den Hang hinauf, still begleiten ihn die weißen Felder. Norbert stapft neben mir durch das Schneetreiben, trägt seinen Schlitten auf den Rücken, umso mit seinen Händen, die Wärme der Hosentaschen erreichen zu können. Meine Schuhe sind völlig durchnässt. „Wer war der Schnellste?“ Baucher mit Anlauf, die hohe Kunst den Mädchen zu imponieren. Ich landete in einem Bach. Da vorn leuchten schon die Fenster der Siedlung, ich freue mich auf Pfefferminztee, werde ihn nah am warmen Ofen trinken.
Ich habe lange nach ihm gesucht, überall, in jedem Schrank. Nun hängt er vor mir, die Farben schon reichlich verblichen, aber zum Glück ohne Mottenfraß. Den Mantel trug ich oft, damals in dem kleinen Städtchen am Rande des Bergischen: Du sitzt mir gegenüber, eine Strähne fällt in dein Gesicht. Wie jeden Morgen studierst du die Zeitung, jede Überschrift, jedes Wort, trinkst in hastigen Schlucken den Kaffee, so als wärest du ungehalten ob dieser Unterbrechung … Alles vorbei.
Ich nehme den Bademantel vom Bügel, krame in den Taschen. Vielleicht findet sich noch ein Wort?
Donnerstag, der 5. Dezember.
Der Morgen:
Hinter der Tür, da wartet der Horizont, und hinter dem Horizont wohl was? Die Frage lasse ich jetzt einmal so stehen, schließe die Tür. Von innen. Denn ich habe ja noch keinen einzigen Bissen gefrühstückt, von dem heißen, schwarzen und sausüßen Kaffee einmal abgesehen. Also hinein in die Küche und mit einem großen Tablett voller leckerer Sachen auf den Balkon, in die Sonne, auch wenn es draußen gerade mal 5° Plus ist. So die weibliche Version. Und die Männliche? Puschen an, höchstens ’raus zum Briefkasten und die Zeitung geholt, dann kauen und lesen, schlürfen und lesen – rundherum alles gemütlich warm. Und nicht mit Wintermantel, Schal und Wolldecke der Kälte trotzen. Wenn ich eines hasse, dann Krümel, die am Halse piken ...
Fotografisches aus Ost und West
Hallo, kurz etwas über mich. Meine Kindheit erlebte ich mit ca. dreißig anderen Kindern, größere und kleinere, in einer Bergmannsiedlung im südlichen Ruhrgebiet. Das war eine aufregende und freie Zeit, hieß es doch oft von Seiten der Eltern, vor allen Dingen in den Ferien: „Raus und lasst euch vor heute Mittag nicht mehr blicken!“ Einen Kindergarten kannten wir nicht, dafür die Wiesen und Wälder um unsere Häuser (Welch ein Glück). Auf dem Schulweg tobten wir noch gemeinsam, aber dann trennten sich unsere Wege in eine katholische und in eine evangelische Volksschule. Kurz und gut, danach Realschule, Lehre bei Siemens, dann später das Abendgymnasium. Die ersten beiden Kinder, dann die Chance einer Selbständigkeit, die ich allerdings nach zwölf Jahren zu Gunsten der Arbeit mit Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen aufgab. Im Zuge dieses Berufes wechselte ich von der Ruhr an die Havel, wo ich jetzt schon sechzehn Jahre lebe. Vielleicht liegt es an der Gelassenheit der hiesigen Landschaft, dass ich endlich zum Schreiben finde. Eine Reihe von Kurzgeschichten warten schon auf Sie als Leser und Leserinnen, zurzeit arbeite ich an einer Novelle, die im Ruhrgebiet spielt.
Klaus Dimar
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